Sind Rockbands nach Verwandten zweiten oder höheren Grades benannt, gilt es
auf der Hut zu sein. Steht zum Beispiel böse Onkels auf dem
Plattencover, so ist weniger der Umstand, dass sie angeblich böse sein
sollen, sondern dass es sich dabei um Onkels handelt, von
besorgniserregendem Gehalt. Was für böse bei den Onkels gilt, gilt in
diesem Zusammenhang auch für das Death bei den Kennedys.
Schwestern
und Brothers indes, ob The DeZurik, Sledge oder Everly, bergen kaum
Sprengkraft in der Musik, die sie von sich geben. Das Zeug von
Interpretinnen und Interpreten aus den Reihen der Verwandtschaft ersten
Grades erinnert an Kuschelbaladen für Harmoniebedürftige in Softies
Welt.
Am
vergangenen Sonntag stand zum Beispiel und endlich (wie bereits Monate
zuvor angekündigt) Deine Cousine in Thun auf der Mokkabühne. Punk aus
Hamburg stand im Programmheft. Einzige Show in der Schweiz. Ich freute
mich seit Tagen wie ein Welpe im ersten Schnee – war zu nichts mehr zu
gebrauchen.
Man
konnte davon ausgehen, dass es ein Stelldichein von Punks der ersten
Generation werden wird. Abgewohnte Stars, die ihre letzten Tage in der
Schweiz verbringen, wo sie mit ihren angehäuften Vermögenswerten die
Vorzüge des Steuerparadieses geniessen, die ihnen die zänkische
Alpenrepublik bietet. Natürlich auch, um noch einmal so richtig auf den
Putz hauen zu können.
Die
Kapelle Deine Cousine, ein Quintett aus mehr oder weniger nackten und
tätowierten Profis wurde angeführt von Ina Bredehorn, die es verstand,
dem Publikum ordentlich einzuheizen (wie es so schön heisst).
Unnötig
zu erwähnen, dass ich zuvorderst am Bühnenrand stand und mich darauf
freute, zusammen mit mir völlig unbekannten (erwähnte ich, dass es sich
um die einzige Show in der Schweiz handelte?) abzutanzen und Party zu
feiern.
Nach
gefühlten zwei Jahren der Abstinenz, in den Tagen des alten Jahres 2022
muss es gewesen sein, und zwar beim Uristier Liederkreis, entfesselte
sich am vergangenen Sonntag tatsächlich wieder einmal ein pogoähnlicher
Tanz. Einer, bei dem mir unerwarteterweise die Haare zu Berge standen.
Dass
sich mein Bedürfnis nach Nähe oder gar Berührungen in den letzten
Jahrzehnten eher in Ängste verwandelte, wusste ich. Im Gedränge, zum
Beispiel abends in der Hauptunterführung im Bahnhof Bern kommt es
mitunter zu wüsten Beschimpfungen meinerseits. Da reicht schon ein
junger, drogenabhängiger Elektrotrottinettfahrer, der meint, sich mir in
den Weg stellen zu müssen, um mit glasigem Blick in seine Selfiekamera
seine Augenbrauen zu kalibrieren.
In
solchen Situationen verliere ich die Kontrolle und meine
Berührungsängste machen aus mir einen unausstehlichen Stinkstiefel. Wer
mich noch von früher kennt, würde mich in einer solchen Situation nicht
wiedererkennen.
Als
Vorbereitung meines Besuchs Deiner Cousine legte ich diese Ängste locker
durch die Einnahme von Gerstensaft ab. Die Haare standen mir letztlich
nur deshalb zu Berge, weil sich 2024 neuerdings auch parfümiertes Volk
in den Pogo begibt. Und ich spreche hier nicht von den schweren
Hippiedüften, die in den Neunzigerjahren nach einem Konzert eines
indischen Sitarstars die hl. Räume des Mokkas olfaktorisch in einen
bengalischen Puff verwandelten, ich spreche von der Ambrahölle wie sie
meine Nase regelmässig in der Züricher S-Bahn erfahren darf.
D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h