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08. Oktober 2020 Grau, das neue Bunt? "Schönschön!" Dachte ich neulich zu mir, als ich durch die Gleisfelder im Bahnhof Bern streifte, von einem Zug zum nächsten eilend. Die Farbe wars, die mich in Entzückung versetzte. Es wurde Farbe angebracht. Die betonierten Seitenwände der Sitzgelegenheiten auf den Bahnsteigen wurden frisch gestrichen. Der obere Teil dort wo man als rastender Reisender beim Sitzen den Arm hinlegen kann, erhielt eine dunkelgraue Färbung, der untere dort wo die Markierungen der Hunde hingepflanzt werden, eine hellgraue. Die Wohnlichkeit des Berner Bahnhofs erreicht damit eine Qualität, die für den langjährigen Besucher nur schwer zu ertragen ist. Galt doch der Bahnhof Bern lange als der düsterste Ort auf Erden. Selbst die abgewohnten Silos der sowjetischen Langstreckenraketen östlich von Jekaterinburg bestachen das geschunden Auge eines zufällig dort anwesenden Systemkritikers lange mit versöhnlicherem Wohlgefallen, als es dies der Berner Bahnhof geschafft hätte. Im Berner Bahnhof hatte ich stets das beklemmende Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte. Bedrohliches lag in der Luft, ja manchmal roch es gar nach Leichengift. So wie es aussieht, gehören solcherlei Befindlichkeiten künftig der Vergangenheit an, denn nun kommt Farbe ins Spiel und damit neuer Schwung in die Örtlichkeit. Apropos Leiche. Während meiner Berufslehre zum Apparatemonteur wurden wir Lehrlinge (hiess damals in den Achtzigerjahren noch so) durch die Abteilungen unserer Firma geschleust. Wir sollten lernen, was es heisst, produktive Arbeit zu verrichten. Dinge herzustellen, welche sich verkaufen liessen. Bei Leiche erinnere ich mich an eine Angestellte am Fliessband in der Endmontage. Wie sie richtig hiess, weiss ich nicht mehr. Ich weiss nur noch, dass wir Lehrlinge sie hinter vorgehaltener Hand "Leiche" nannten. Ihr langes, gerades Haar war schwarz und von öligem Glanz, Ihre Haut mayonnaisebleich und mit einer beängstigenden Sammlung unansehnlicher Pickel übersät. Hätte damals Marilyn Manson bereits sein Unwesen in der MTV-verseuchten Medienlandschaft getrieben, hätte uns der Gedanke, dass Leiche die böse Zwillingsschwester Mansons gewesen sein musste, nicht mehr losgelassen. So waren wir. Ernstzunehmende Anzeichen dafür zu glauben, dass Leiche hätte böse gewesen sein sollen, gab es natürlich keine. Stets sass sie an ihrem, ihr zugewiesenen Platz am Fliessband und ging ihrer Zusammenschraubarbeit nach. Wenn ich mich recht erinnere mit gespenstischer Zuverlässigkeit, denn es ging das Gerücht um, dass sie nie Ausschuss produzierte. Im Vergleich mit dem Output der anderen Pfeifen, besonders im Vergleich mit dem haarsträubenden Gemurkse, das wir Lehrlinge ablieferten, fielen die anstandslos verschraubten Teile Leiches einem Blinden auf. Die Vorbehalte, die wir unfertigen Hornochsen gegenüber Leiche hegten und die wir mit unserer unfertigen Sozialkompetenz weissgott auch eifrig pflegten, gingen vor allem darauf zurück, dass Leiche stets schwarze Klamotten trug. Textilien mit hartverchromten Applikationen und mit aufgedruckten Bildern von Bands, die Namen trugen, die uns die Eiseskälte über den Rücken trieb. Neurotic Doll und Asmodi Bizarr waren noch die harmlosesten. Bei Cure machten wir Dire-Straits- und Mike-Oldfield-Hörer bereits die Ohrröhren zu und sagten Bäh! Mit Leiche kam man nicht in Kontakt, denn sie hatte den ganzen Tag Kopfhörer auf und unterbrach ihre Arbeit nur, um entweder zur Toilette zu gehen oder um die Kassette zu drehen. Dass in der Gegend um Leiche herum nichts Bemerkenswertes passierte, hinderte uns in keinster Weise daran an unserem wöchentlichen Berufsschultag, wenn sich die gesamte Lehrlingeblase traf, an ihrer Legendenbildung herumzupfuschen. Pflicht war es für denjenigen unter uns, der gerade dazu verdammt war, die restlichen Tage der Woche am Fliessband in der Endmontage zu verbringen, uns anderen Pfosten eine abenteuerliche Geschichte aufzutischen. Eine Geschichte in der Leiche eine massgebliche Hauptrolle spielte und die natürlich zur Festigung ihrer Legende beitragen musste. Und was soll ich sagen, wir hielten uns nicht zurück. Geschichten mit "..neulich war die Polizei da und holte Leiche ab..." oder "...als ich letzte Nacht am Friedhof vorbei ging, sah ich Leiche auf einem Grab..." wurden in der grossen Pause herumgereicht. Später dann, während meiner Punkzeit in Hamburg, gabs noch eine weitere Leiche. Ein Kumpel Görings hatte den Namen Leiche weg. Göring sass mit Leiche (und den Hunden) oft vor dem Roschinsky oder der Reeperbahntanke und schnorrten die Touristen an. Angeblich soll Leiche vor Jahren, als Helmut Schmidt noch SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag war und Uwe Seeler sich zum ersten Mal mit dem Gedanke versöhnte, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten, am Spielbudenplatz von einem Doppelstöckerbus angefahren und später noch an der Unfallstelle von den Maltesern mit der Rettungsdecke zugedeckt worden sein. Nachdem der Notarzt den Totenschein ausgefüllt hatte, soll der vermeintlich Tote aufgestanden sein und unter den staunenden Augen der Gaffer seinen Ground Zerro mit ordentlich Schlagseite und mit Jassir seiner Schäferhündin zur Seite in Richtung Seilerstrasse verlassen haben. *** Eingezwängt in meine weisse Latzhose stehe ich in der Hauptgasse im Baumarkt. Kopf im Nacken lese ich die Schilder an der Decke. Schrauben, Elektro, Auto. Ich brauche Farbe. Heute keine Schrauben, keine Räder, keine Holzprofile, nur Farbe. Eine Baumarktverkäuferin muss mich beim Lesen der Schilder gesehen haben, quatscht mich, einem Baumarktverkäuferinnenreflex folgend, von der Seite her an und will wissen: "Kann ich behilflich sein?" In ihrer Tonlage spüre ich ihre Angst. Wohl die Angst, durch meine unnatürliche Haltung könnte ich der Gefahr eines plötzlichen Herztodes, oder schlimmerem ausgesetzt sein. Ich dann blitzschnell die Situation entschärfend: "Ich such Farbe" Sie dann so (bereits wieder etwas entspannter): Farben und Lacke finden sie gleich hier zu Ihrer Linken. Schwarz, Weiss und Grautöne, unmittelbar dahinter". Bachnassgeschwitzt schreckte ich aus dem Alptraum auf. D J B r u t a l o @ S ç h n u l l i b l u b b e r.ç h . |