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15. Februar 2006

Begnungen im Zug

schön - kalt


Besinnlich geht es im Winter in Hamburg zu. Während die hiesige Bockwurstprominenz in Garmisch-Partenkirchen die kiesergequälte Muskelpracht den Schneemassen aussetzt, hält unsereiner die Fahne hoch und fährt - an seinen urlaubsfreien Tagen sogar - nach Frankfurt, zum Türme schrubben. Türme schrubben finde ich etwas vom erholsamsten was es in der modernen Gesellschaft zu tun gibt. Mangels Bildern, auf welchen ich beim Türme schrubben zu sehen bin, überlege ich mir, ob ich den Three Häbeni noch einen übrig lasse.

Das Eis auf der Alster ist natürlich längst geschmolzen. Weil aber gerade Winterschlussverkauf ist und wieder einmal alles raus muss, sehe ich nicht ein, warum dies für die Bilder, welche sich auf meiner Festplatte angesammelt haben, nicht auch gelten soll. Die Aktualität bleibt dabei selbstredend total auf der Strecke.

Jüngst im ICE-Sprinter von Hamburg nach Frankfurt verhinderten zwei Menschen, welche bei mir im Abteil sassen, durch verbalen Austausch von interessanten Belanglosigkeiten aus ihrem Geschäftsalltag, erfolgreich, dass ich mich auf meine Lektüre konzentrieren konnte. Ich hatte mir gerade ein Harry Rowohlt Gesamtwerk angeschafft und wollte mir dies auf meiner Reise in die Schweiz, genüsslich einpfeifen. Durch die Störungen musste ich mich auf die beigelegte Bildersammlung aus dem Poesiealbum Herrn Rowohlts beschränken.

Die mitreisenden Herrschaften beklagte sich über ein neulich angewandtes Satelliten-Navigationssystem in einer angemieteten Chefklasse aus dem Hause Audi. Es wurde behauptet, das "Navi" - wie die Systeme liebevoll genannt werden - nicht in der Lage war von einem linksalsterseitigen Ausgangsort die Route zu einem rechtsalsterseitigen Zielort zu berechnen. Die lakonische Antwort der synthetischen Stimme wäre gewesen: "Der von Ihnen gewählte Zielort, ist über das von mir bekannte Strassennetz nicht zu erreichen". Anstatt den Lenker über die Kennedy-Brücke zu navigieren, stellten sich dem technischen Spielzeug plötzlich Hindernisse von dem Ausmass der Beringstrasse in den Weg.

"Da blieb wohl jemand zu Hause" dachte ich erst noch bei mir, zog es dann aber vor, den Ort des Schreckens zu verlassen, um mir im Speisewagen ein Board-Frühstück zu gönnen. Der ältere Mann, welcher vor meiner Ankunft alleine an einem Tisch sass, vertiefte sich in eine rosarote Postille der Finanzwelt und schien mir nicht den Anschein zu machen, dass er mir mit dauerndem Gerede auf meine Frühstückseier gehen wird. Ich setzte mich ihm kurzerhand gegenüber.

So war es dann auch. Er lass, von den Geschehnissen im Speisewagen unbeeindruckt, in seiner Zeitung, und ich genoss die Stille. Als dann nach einer halben Stunde immer noch Stille herrschte, das heisst unser Tisch wurde vom laienhaften Kellnerpack mit renitenter Boshaftigkeit ignoriert, kamen wir ins Gespräch. Man solidarisiert sich ja gerne in solcherart widerfahrender Ungerechtigkeit

Zwischen kellnerherbeiwinken und Unzufriedenheitsbekundungen was die Gesamtsituation anging, entwickelte sich ein frischer Dialog. Da der ältere Mann auch aus Hamburg kam, kamen wir irgendwie auf die Alster und ihre winterliche Schönheit zu sprechen. Die Geschichte mit dem Navigationssystem brachte ihn derart zum Lachen, dass er sich kaum mehr erholen konnte.
Er erzählte mir aus seiner Jugend. Im Jahre 1957 hatte er sein Abitur gemacht. Das war der Winter gewesen, in welchem die Alster bis auf den Grund zugefroren war. Da hätte es kaum Polizei gegeben und sie wären mit dem Auto, nachts einfach quer über die Alster gefahren.

Ich staunte und war mir sicher, dass einer seiner ehemaligen Studienkollegen (wenn nicht sogar er selber) Navigationssysteme programmierte. Das Frühstück kam dann auch irgendeinmal und die Welt war wieder in Ordnung.

Zurück an meinem Platz (im Wagen mit der Ordnungsnummer 3) hatten die beiden Quatschköpfe das Feld geräumt und eine junge Frau mitte zwanzig mit langen schwarzen Haaren schaute mich aus zwei unendlich tiefen Kuhaugen, erwartungsvoll an. Mit ihrer ziemlich verrauchten Stimme hauchte sie ein kurzes aber bedeutungsvolles "Hallo!" entgegen, gefolgt von " ich hoffe der Platz bei Dir war noch frei...". Das Schicksal musste sie mir in Hannover zugestiegen haben. Ich hatte nicht das geringste dagegen.

Um jetzt aber das ohnehin schon schwer angeschlagene Internet nicht unnötig mit Erotik aufzuknistern, höre ich hier auf mit weiteren Ausführungen und geniesse das erlebte still. Ihr könnt aber beruhigt sein, die Fahrt bis Offenburg verging im Flug.

D J B r u t a l o @ s c h n u l l i b l u b b e r . c h

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